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Genozid in Tigray, Äthiopien
3. November 2021
Mit diesem Schreiben möchten wir, die Mitglieder der Tegaru Community in der Schweiz auf die schreckliche Situation in Tigray, Äthiopien, aufmerksam machen. Seit genau einem Jahr herrscht Krieg und die Lage verschlimmert sich drastisch.
Was ist passiert?
Am 4. November 2021 jährt sich der Beginn des Völkermods in Tigray, Nordäthiopien. Seit einem Jahr herrscht Krieg und die Rede ist von grausamen Massakern, Vergewaltigungen durch Regierungstruppen sowie Milizen und weiteren Menschenrechtsverletzungen. Leidtragende sind unschuldige Zivilisten, die aufgrund ihrer Abstammung von der äthiopischen und eritreischen Regierung angegriffen werden. Die Vereinigten Staaten sprachen bereits anfangs Jahr von Ethnischer Säuberung im Westen Tigrays. Felder und Dörfer wurden niedergebrannt und die Menschen sind bis heute gezwungen zu flüchten. Gemäss UNHCR sind mittlerweile über 50‘000 Menschen aus Tigray in den Sudan geflüchtet. Die Zentralregierung hat unter der Leitung von Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Ali eine Militäroffensive gegen die Region Tigray begonnen und seither die Kommunikationsnetzwerke ausgeschaltet. Kürzlich wurde er für fünf weitere Jahre in seinem Amt bestätigt und hat die dritte Offensive gegen Tigray gestartet. Trotz der Internationalen Gemeinschaft, die mehrfach um Waffenstillstand und friedliche Verhandlungen aller Parteien gebeten hat, entscheidet sich die äthiopische Regierung nach wie vor für einen militärischen Weg und führt die unsinnigen Machtspiele, die tausende Menschenleben fordern, fort.
Humanitäre Krise
Seit Beginn des Krieges gibt es wenig Strom, die Banken sind geschlossen und die Flugverbindungen zur Hauptstadt Addis Abeba wurden unterbrochen. Viele Hilfsorganisationen dürfen nicht in das Gebiet einreisen, um die Opfer des Konflikts zu unterstützen. Die äthiopische Regierung akzeptiert keine Kritik und hat am 30. September 2021 sieben UN-Mitglieder des Landes verwiesen. Es besteht grosse Sorge, denn viele Menschen in Tigray werden dem Hungertod ausgesetzt. Die medizinische Versorgung kann vielerorts nicht mehr gewährleistet, geschweige denn in die Region eingeführt werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 2,1 Millionen Menschen innerhalb und aus der Region geflohen. 5,5 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Immer wieder kommt es zu Gewaltausbrüchen, Anschlägen, Plünderungen und sexuellen Übergriffen. Wichtige Transportwege nach Tigray sind zerstört und die Hilfsblockade der äthiopischen Regierung verschlimmert die humanitäre Krise mit jedem Tag. Neben Lebensmitteln werden Bargeld und Treibstoff knapp. Tigray ist von der Aussenwelt abgeschottet.
Die Bevölkerung in Tigray kann ihre Familienmitglieder im In- und Ausland nicht mehr erreichen. Es herrscht ein totales Kommunikationsblackout. Wie die Lage vor Ort ist und wie es den Leuten geht, ist nur schwer ausfindig zu machen. Das Traurige: Die Menschen litten schon vor dem Krieg an der Corona-Pandemie und an einer Heuschrecken-Plage – nun auch noch der Bürgerkrieg. Die UN spricht bereits von der schlimmsten humanitären Krise des Jahrzehnts.
In der Hauptstadt Addis Abeba und in anderen Regionen Äthiopiens werden Menschen aus Tigray gezielt diskriminiert und willkürlich verhaftet. Die Sicherheit ist im Ganzen Land nicht gewährleistet.
Kriegsverbrechen und Massaker
Hunderte von Frauen und Mädchen sind im bewaffneten Konflikt in Tigray vergewaltigt, gefoltert und sexuell versklavt worden. Die Kriegsverbrechen durch Angehörige der äthiopischen Streitkräfte, des eritreischen Militärs und verbündeter Milizen könnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen, schreibt Amnesty International in einem Bericht. Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, sagte folgendes: «Es ist klar, dass Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt als Kriegswaffen eingesetzt wurden, um Frauen und Mädchen in Tigray dauerhafte physische und psychische Schäden zuzufügen. Hunderte von ihnen wurden brutal misshandelt, um sie zu erniedrigen und zu entmenschlichen.» Der Amnesty Bericht ‘I Don't Know If They Realized I Was A Person’: zeigt auf, wie Frauen und Mädchen sexualisierter Gewalt durch Angehörige der äthiopischen Streitkräfte, des eritreischen Militärs, 3 der paramilitärischen Spezialpolizei der Region Amhara und der Miliz Fano in Amhara ausgesetzt waren. Soldaten und Milizen setzten Frauen und Mädchen in Tigray Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen, sexueller Versklavung und anderen Formen der Folter aus. Viele Betroffene wurden während der Tat mit dem Tod bedroht und wegen ihrer ethnischen Herkunft beschimpft und gedemütigt. Den Link zum Bericht finden Sie auf der letzten Seite.
Am 28. und 29. November 2020 töteten Angehörige der eritreischen Streitkräfte im äthiopischen Bundesstaat Tigray systematisch Hunderte von unbewaffneten Zivilpersonen. Sie eröffneten in den Strassen der Stadt Axum das Feuer und durchkämmten ein Haus nach dem anderen. Die Untersuchungen von Amnesty haben ergeben, dass es sich um ein Massaker handelte, das mutmasslich einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommt (Massaker durch Eritreische Truppen in Tigray).
In Äthiopien hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) ihre medizinische und humanitäre Hilfe weitgehend eingestellt. Sie reagierte damit auf ein Verbot der Behörden in Addis Abeba. Die Bevölkerung in Tigray ist auf diese Hilfe angewiesen, doch die äthiopische Regierung setzt alles daran, die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen.
Eine Untersuchung durch CNN hat ergeben, dass Äthiopiens Regierung die grösste Fluggesellschaft Afrikas (Ethiopian Airlines) einsetzt, um Waffen von und zum Nachbarland Eritrea zu transportieren (CNN Bericht, 8.10.2021). Von CNN eingesehene Frachtdokumente und - unterlagen sowie Augenzeugenberichte und Fotos bestätigen, dass in den ersten Wochen des Tigray-Konflikts im November 2020 an Bord mehrerer Ethiopian-Airlines-Flugzeuge Waffen zwischen dem internationalen Flughafen von Addis Abeba und den Flughäfen in den eritreischen Städten Asmara und Massawa transportiert wurden. Es ist das erste Mal, dass dieser Waffenhandel zwischen den ehemaligen Feinden während des Krieges dokumentiert wurde. Experten zufolge stellen die Flüge einen Verstoss gegen das internationale Luftverkehrsrecht dar, das den Schmuggel von Waffen für militärische Zwecke in zivilen Flugzeugen verbietet.
Seit dem 18. Oktober 2021 führt das äthiopische Militär regelmässig Luftangriffe in Tigray durch. Dabei sind bereits Dutzende Zivilisten – darunter auch Kinder – ums Leben gekommen. Zwei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bestätigten die Luftangriffe und mittlerweile wurde das von Internationalen Medien (Reuters, AFP, etc.) bestätigt. Seit vergangener Woche «sind wir nicht in der Lage, die normalen Aktivitäten des humanitären Flugdienstes der Vereinten Nationen wieder aufzunehmen», sagte UN-Sprecher Farhan Haq 4 am Donnerstag in New York. Solange die äthiopische Armee Angriffe auf die Regionalhauptstadt Mekelle fliege, seien Lieferungen auf dem Luftweg zu gefährlich.
Tigray Community in der Schweiz
In der Schweiz gibt es eine grosse Tigray Community. Wir haben nun eine dreitägige Demonstration vor dem UNO Gebäude in Genf organisiert. Heute – am 70. Tag des Krieges – ist der zweite Demo-Tag. Viele in der Schweiz lebende Menschen aus Tigray und auch Personen aus den Nachbarländern kommen an diesen sehr kalten Tagen nach Genf, weil sie keinen Kontakt zu ihren Eltern, Geschwistern, Kindern oder anderen Verwandten haben. Sie wollen, dass der Krieg endet. Regelmässig werden wir mit Massakern, Bombenangriffen, Vergewaltigungen und Plünderungen konfrontiert. Wir haben jedoch keinen Zugang zu unabhängigem Journalisten und zu konkreten Informationen von externen Parteien. Wir können unsere Familien und Freunde nicht erreichen und bangen um das Leben unserer Liebsten. Premierminister Abiy Ahmed Ali hat die Militäroffensive zwar Ende November für beendet erklärt, jedoch verstehen wir nicht, weshalb darauf die Kommunikation zur Region nicht wiederhergestellt wurde, warum immer noch Menschen nach Sudan flüchten, warum Hilfsorganisationen immer noch keinen Zugang zur Region haben und warum wir immer wieder von Menschenrechtsverletzungen hören.
Die Tigray Community in der Schweiz leidet sehr. Unsere Familienangehörige sitzen in Tigray fest und wir wissen nicht, wie es ihnen geht. Wir können auch nicht helfen und sind deshalb auf die Hilfe internationaler Organisationen und Nationen angewiesen.
Demonstrationen weltweit
In ganz Europa, USA, Australien und weiteren Ländern finden Demonstrationen statt. Die Demonstrantinnen und Demonstranten fordern folgendes:
Ende des bewaffneten Konflikts
Einhaltung der Menschenrechte
Wiederherstellung des Kommunikations- und Stromnetzwerk
Ungehinderten Zugang für Hilfsorganisationen
Pressefreiheit: Journalisten sollten direkt aus der Region berichten dürfen
Öffnung der Banken
Ende von rechtswidrigen Festnahmen aufgrund der Ethnie in ganz Äthiopien
Am 4. November 21 findet eine bewilligte Demonstration vor dem UN Gebäude in Genf statt.
Unsere Wünsche und Forderungen an die Schweiz
Die Schweiz ist bekannt für Ihre Hilfsbereitschaft und leistet grossartige Arbeit, Menschen in Not – nicht nur in der Schweiz – sondern auch im Ausland zu unterstützen. Während Länder wie Deutschland, Irland und Grossbritannien sich oftmals über den Konflikt in Äthiopien äussern, die Aktionen der Regierung scharf kritisieren und zu einer friedlichen Lösung aufrufen, verhält sich die Schweiz sehr zurückhaltend. Wir verstehen, dass sich die neutrale Schweiz nicht in fremde Angelegenheiten mischen möchte, allerdings sollte sich keine Nation, bei Völkermord und Menschenrechtsverletzungen, wie sie in Äthiopien stattfinden, raushalten. Deshalb erhoffen wir uns, dass die Schweiz sich in der Pflicht sieht und Massnahmen ergreift, um den Druck auf die äthiopische Regierung zu erhöhen mit dem Ziel eine friedliche Lösung zu erwirken. Wir bitten Sie folgende Punkte in Erwägung zu ziehen und im Namen der Menschenrechte zu handeln:
Sanktionsmassnahmen gegenüber Äthiopien
Regelmässige öffentliche Statements zur Situation in Tigray
Vielen Dank für die Kenntnisnahme.
Freundliche Grüsse
Tigray Youth Movement Switzerland
Quellen
Amnesty: https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/aethiopien/dok/2020/massaker-an-zivilbevoelkerung-in-der-region-tigray
Amnesty Medienmitteilung (26.02.21): https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/aethiopien/dok/2021/massaker-durch-eritreische-truppen-in-tigray#
Amnesty Bericht (Februar 21): The Massacre in Axum: https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/aethiopien/dok/2021/massaker-durch-eritreische-truppen-in-tigray/the-massacre-of-axum-afr-25-3730-2021.pdf
Amnesty Medienmitteilung (11.08.21): https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/aethiopien/dok/2021/vergewaltigungen-und-sexuelle-versklavung-im-tigray-konflikt
Amnesty Bericht (August 21):
https://www.amnesty.ch/de/laender/afrika/aethiopien/dok/2021/vergewaltigungen-und-sexuelle-versklavung-im-tigray-konflikt/report_i-dont-know-if-they-realized-i-was-a-person_rape-and-other-sexual-violence-in-the-conflict-in-tigray.pdf
AP News (20.09.21):
https://apnews.com/article/africa-united-nations-only-on-ap-famine-kenya-ef9fe79cc0cf35917fd190b6e9bd0f46
CNN (08.10.21):
https://edition.cnn.com/2021/10/06/africa/ethiopian-airlines-investigation-tigray-war-intl-cmd/index.html
MSF (07.07.21):
https://www.msf.ch/de/neueste-beitraege/pressemitteilung/aethiopien-msf-fordert-ermittlungen-nach-ermordung-von
spiegel.de (30.11.20):
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-aus-aethiopien-im-sudan-die-welt-muss-wissen-was-in-tigray-passiert-a-762b7f8e-8472-4cd3-b533-184a2468fd2e
UNHCR:
https://www.unhcr.org/ethiopia-tigray-emergency.html
UN Relief Web:
https://reliefweb.int/report/ethiopia/wfp-expands-emergency-response-7-million-people-face-hunger-crisis-northern-ethiopia
Swissinfo.ch:
https://www.swissinfo.ch/ger/alle-news-in-kuerze/aerzte-ohne-grenzen-stellt-arbeit-in-aethiopien-weitgehend-ein/46938248
20 Minuten (19.10.21):
https://www.20min.ch/story/aethiopische-armee-bombardiert-zivilisten-in-tigray-171414769748
Südostschweiz (31.10.2021):
https://www.suedostschweiz.ch/politik/2021-10-28/un-luftversorgung-von-krisenregion-tigray-weiterhin-unmoeglich
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